Stefan Gatt: Der erste Mensch, der vom Mount Everest mit dem Snowboard abgefahren ist
Julia: Hallo Stefan! Schön, dass du heute online dabei bist und uns von deinem bisher größten Abenteuer erzählst.
Zu Beginn wäre es super, wenn du dich kurz vorstellen könntest. Wer bist du und was machst du?
Mein Name ist Stefan Gatt, ich habe Sportwissenschaften in Wien studiert und mich danach sehr stark in die psychologische Richtung entwickelt, habe viele Fortbildungen besucht und anschließend selbst Seminare für Teams und Führungskräfte gegeben. Ich habe anschließend meine Liebe für erlebnisorientierte Lernmethoden entdeckt und dazu viele Ausbildungen angeboten. Darauf folgte meine Ausbildung als Paartherapeut, während dieser habe ich gemerkt, dass ich diese auch im beruflichen Kontext anwenden kann, da es im Endeffekt im Leben immer um zwischenmenschliche Beziehungen geht. Vor Corona habe ich zu 90% von Seminaren und zu 10% von Fotografie, Höhenarbeit und Bergführungen gelebt. Mittlerweile hat sich das auf Einzelcoachings, Klettersteig-Reparaturen und Bergführungen verlagert.
Und so bin ich auch auf REELOQ gestoßen. Ich habe REELOQ auf dem Dachstein bei einer Kundin entdeckt und mir sofort gedacht „das ist eine gute Idee!“.
Julia: Was bedeutet Abenteuer für dich im Alltag und was für einen Stellenwert haben Abenteuer für dich?
Abenteuer ist für mich das Gegenteil von Routine. Und wenn ich jetzt sage „ich hasse Routine“, dann ist auch sofort klar, was ich liebe! Ich liebe die Herausforderung, das Neue, das Ungewohnte, außerdem habe ich auch gern die Kontrolle über schwierige Situationen.
Für mich hat Abenteuer also einen sehr hohen Stellenwert in meinem Leben, vor allem Abenteuer in der Natur. Ich genieße die Stille, die Schönheit und die Einsamkeit, die einen in der Natur erwarten.
Julia: Und was war dein bisher größtes Abenteuer?
Aufgrund der Größe des Berges war eines meiner größten Abenteuer meine Mount Everest Expedition im Jahre 2001. Dabei habe ich mir als zusätzliche Herausforderung, ein Snowboard mitgenommen. Das war zwar ein spezialangefertigtes, sehr leichtes Board, aber trotzdem etwas, das man normalerweise nicht auf eine 8.000er Tour mitnimmt. Denn dies ist ohnehin ein Grenzgang, vor allem wenn man die Tour ohne Sauerstoff bestreitet. Während dieser Tour wird der Luftdruck auf ungefähr ein Drittel reduziert und damit betragen die Sauerstoffteilchen in der Luft nur noch 20% vom Meeresniveau. Das trägt zu einer Leistungsreduktion von 90% bei.
Darauf habe ich mich natürlich gut vorbereitet. 1.000 Höhenmeter unter einer Stunde waren damals gar kein Problem für mich (als Richtwert: man sagt gut konditionierte Wanderer schaffen um die 400 Höhenmeter pro Stunde). Das bedeutete, dass ich auf dem Everest in einer Stunde nur 100 Höhenmeter zurücklegen konnte und trotzdem keuchte ich dabei wie ein Marathonläufer. Und das möglichst tief, stark und schnell, um den wenig vorhandenen Sauerstoff in den Körper zu bringen. Ich hatte damals Zuhause einen Ruhepuls von unter 40 und auf dem Everest war er durchgängig auf 80-90. Zu dem wenigen Sauerstoff kam noch die unglaubliche Kälte dazu. Bei uns hatte es damals -50 Grad in der Nacht und -32 Grad bei Tag.
Bei den TeilnehmerInnen an unserer Expedition habe ich mich an eigenverantwortliche Bergsteiger gewandt, um vor Ort nur mehr als Berater und Coach tätig zu sein. Das hat super funktioniert und der Aufstieg ist gut verlaufen, weshalb ich das Snowboard dann auch wirklich mitgenommen habe und am 22. Mai 2001 als erster Mensch mit dem Snowboard auf dem Mount Everest angekommen bin. Am Gipfel sind natürlich einige Fotos entstanden.
Danach hat mein Partner Theo Fritsche seinen Abstieg begonnen. Ich habe vorsichtig mein Snowboard angeschnallt, damit es sich nicht den Everest hinunter verabschiedet. Beim Aufstieg habe ich mir ausgemalt, was für eine tolle Abfahrt mir bevorstehen würde, weil ja noch gar keine Spuren vorhanden waren. Unverspurten Pulver hat es aber in der Gipfelregion keinen gegeben, weil der Schnee hart gefroren war. Teilweise erwartete mich eine Steilheit von 45 Grad – also keine Abfahrt, wo ich mir Fehler erlauben hätte können.
Jedoch kann ich mich noch gut an den Moment erinnern, wo ich im Snowboard dringestanden und die ersten Wellen hinuntergeritten bin. Das war wirklich ein einmaliges Gefühl, dass ich der erste Mensch war, der hier die ersten Spuren mit dem Snowboard in den Schnee gezogen hat. In den Hängen oberhalb von 8.000m lag ich nach zwei Schwüngen immer hechelnd im Schnee, da ich in wenigen Sekunden so viel Sauerstoffschuld in den Beinen aufgebaut hatte, dass meine Oberschenkel blau waren. So habe ich mich langsam hinuntergearbeitet und war im Großen und Ganzen doppelt so langsam, als wenn ich einfach zu Fuß gegangen wäre.
Auf einer Höhe von 8.700hm wollte ich dann planmäßig nach links ins Norton-Couloir fahren, wo ich ohne abschnallen bis auf 7.000m hätte fahren können. Mein Bauchgefühl sagte mir jedoch, dass dies keine gute Idee wäre. Innerlich haben mein Kopf und mein Bauch dann begonnen gegeneinander zu debattieren. Denn auf der linken Seite im Norton-Couloir gab es mehrere Rinnen als Einstieg, jedoch nur eine davon war durchgängig zu befahren. Die anderen hätten alle in einem Felsabbruch geendet. Nachdem ich wieder einmal 10 Minuten hechelnd im Schnee gelegen bin, habe ich mir folgende Frage gestellt: „Was passiert, wenn du einen Fehler machst?“. Daraufhin wurde mir bewusst, dass es in diesem Fall nur zu 50% gut für mich ausgehen würde, ansonsten würde ich bei einem Fehler sterben. Dieses Risiko war mir dann einfach zu hoch. Deshalb habe ich dann einen Schwung nach rechts gemacht. Ich bin vorsichtig aus der Bindung in die Steigeisen gestiegen, habe mir mein Snowboard auf den Rücken geschnallt und bin bis 8.200hm größtenteils zu Fuß ins letzte Lager abgestiegen, um dort die Nacht zu verbringen. Am nächsten Tag ging es dann wieder weiter mit dem Snowboard. Ab 7.600hm war ich dann ungefähr gleich schnell wie zu Fuß und ab 7.000hm doppelt so schnell. Da hat es sich dann von der Geschwindigkeit her ausgezahlt! 😊
Insgesamt war ich für dieses Abenteuer 50 Tage lang unterwegs, 30 Tage davon war Akklimatisierungszeit, 2,5 Tage sind wir bis zum Gipfel aufgestiegen und 1,5 Tage habe ich für den Abstieg bzw. die Abfahrt gebraucht.
Julia: Wie lange hast du dich auf dieses Abenteuer vorbereitet?
Auf einer Ebene sag ich immer „mein ganzes Leben lang“, weil natürlich ganz viele alte Verhaltensmuster abgerufen werden, ohne dass sie ins Bewusstsein dringen. Andererseits 2,5 Jahre lang mit Fokus auf Beinstreckertraining, außerdem bin ich ein Jahr davor nicht mehr Klettern gegangen, weil ich wusste, dass jegliche Muskelmasse im Oberkörper unnötige Last für die Expedition ist. Logischerweise hatte ich damals sehr trainierte Beine, sodass mir meine Jeans nicht mehr gepasst haben.
Julia: Hat man von dort oben auch eine weite Aussicht oder ist dort alles von Wolken bedeckt?
Doch, man kann von ganz oben über 1.000km weit sehen. Wir haben damals glücklicherweise ein Traumwetter gehabt, wie von Karl Gabl vorhergesagt. Dort oben hat man sogar die Krümmung der Erde gesehen, es war wirklich beeindruckend! Der Himmel dort oben ist auch nicht mehr blau, sondern schwarz wie die Nacht. Ich konnte über Tibet, Nepal und Indien sehen. Das war den Aufstieg auf jeden Fall wert.
Julia: Welcher Augenblick auf dieser Reise ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
Ein besonderer Moment ereignete sich am Vorgipfel, 50hm vor dem Gipfel. Da hatte ich einen sehr prägenden Gedanken „Stefan, jetzt hast du eine halbe Stunde Zeit, um die letzten Meter bis zum Gipfel zu genießen.“ Danach habe ich jeden Schritt Richtung Gipfel dankbar genossen. Normalerweise hastet man immer auf den Gipfel, genießt kurz die Aussicht und steigt dann wieder hinunter. Das war bei diesem Abenteuer anders.
Ich merke auch beim Erzählen, dass ich berührt bin, weil das einfach ein Geschenk und eine große Chance für mich war. Ich bin auch extrem dankbar, dass mich meine Frau dabei ermutigt und unterstützt hat.
Julia: Welche 3 Key Takeaways würdest du anderen Abenteurern mitgeben?
#1 Mach dir ein paar Meter vor dem Gipfel bewusst, dass du gleich oben bist.
So taucht man wirklich in den Moment ein und genießt die letzten Schritte viel bewusster und dankbar. Mach dir bewusst, dass du einen gesunden Körper hast, der Berge besteigen kann. Das gilt metaphorisch gesehen auch für andere Gipfel im Leben, mach dir bewusst welches Glück du hast.
#2 Wenn du wirklich bereit bist für dein Ziel einzustehen, kannst du ganz viel im Leben erreichen.
So wird sogar oft Unmögliches möglich gemacht.
#3 Letztendlich zählen die Menschen im Leben.
… und nicht die Gipfel oder Leistungen im Leben. Meine Frau und meine Kinder sind für mich zum Beispiel die Wichtigsten.